Benedikt Binder-Krieglstein ist der neue CEO von Reed für Österreich und Deutschland. Wir haben uns im Videochat mit ihm unterhalten, um aus erster Hand mehr über seine Einschätzungen zur aktuellen Lage und zu den Aussichten für die Messewirtschaft im deutschsprachigen Raum zu erhalten.
Sie gehören zu denen, die mitten in einer für die Messewirtschaft außergewöhnlichen Krisensituation neue Verantwortung übernommen haben. Erfolgsmeldungen sind in diesen Zeiten rar. Wie geht es Ihnen persönlich damit?
Allem voran: Es ist eine Ehre, in die Fußstapfen von Hajo Erbel zu treten. Es ist außerdem besonders spannend einzutreten, wenn es gerade schwierig ist: In einer Krise kann man einen anderen, besonders positiven Spirit entwickeln.
Wir haben gesehen, wie dringend es nötig ist, unsere Geschäftsmodelle auf eine breitere Basis zu stellen, das können wir jetzt tun. Wir verfügen über breites Datenwissen und wir können mit unseren Geschäftsmodellen auch im digitalen Bereich das erreichen, was mit analogen Werkzeugen bereits möglich war.
Reed zählt zu den ganz Großen im Messewesen und agiert weltweit. In einigen Punkten unterscheidet sich die Messewirtschaft im deutschsprachigen Raum vom Rest der Welt. Werden wir hier besser, schlechter oder einfach anders durch die Krise kommen?
Die eindeutigen Gewinner der Krise sehen wir aktuell in Asien – dort ist das Messewesen bereits wieder seit vielen Monaten am Laufen.
Mittel- bis langfristig werden wir stärker - und besser aus der Situation herauskommen. Denn wir werden Komplementärprodukte schaffen. Zu unserem bestehenden und sehr umfangreichen Dienstleistungs- und Angebotsportfolio, das sehr auf Messetermine und physische Events zugespitzt ist, werden unsere Kunden 365 Tage im Jahr über uns und unsere Netzwerke Aufträge entwickeln können. Deshalb werden wir künftig noch stärker sein.
Im FAMA gibt es ja viele B2C-Veranstalter, die sich aktuell noch schwertun mit der Vorstellung, digitale Ganzjahresangebote für Publikumsmessen zu entwickeln. Welche Potenziale sehen Sie hier aus Sicht von Reed?
Das wichtigste ist die Kenntnis der Kunden und ihrer Bedürfnisse. Das ist Teil unserer Daten-basis – wenn man hier „seine Hausaufgaben“ gemacht hat, ist man gut aufgestellt. Wir arbeiten viel mit Personas, haben unterschiedliche Touchpoints und kennen die Bedürfnisse unserer Kunden.
Nehmen wir das Beispiel unserer Wohnmesse in Österreich „Wohnen & Interieur“: Wenn wir einen Besucher haben, der in 5-6 Monaten sein Badezimmer renovieren wird, was wir aufgrund seiner Präferenzen, die er uns gerne bekannt gibt, wissen, dann können wir zum richtigen Zeitpunkt Anbieter vorschlagen, die über klares Empfehlungsmanagement für ihn die richtige Lösung haben.
Die Wirtschaft wartet sehnsüchtig darauf, dass Messen wieder stattfinden. Zugleich müssen alle Beteiligten derzeit große Unwägbarkeiten aushalten. Worauf müssen wir uns Ihrer Einschätzung nach einstellen, wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind?
Ich denke weitreichend – und bin sicher, dass wir im zweiten Halbjahr langsam wieder starten und Messen sehen werden. Je später im Jahr, desto besser wird es sein (abhängig davon, wie sich die Mutation entwickelt). Ich denke, dass wir gleichzeitig sehr aktiv sein werden müssen, um erfolgreich zu sein. Es wird voraussichtlich weitere Markbereinigungen geben, betreffend Anbieter und Formaten.
Trotzdem: Die Menschen wollen ‚wieder raus‘, Freunde und Business Partner treffen. Ich zitiere hier gerne Wilfried Haslauer (Anm.: Landeshauptmann Bundesland Salzburg), der gesagt hat: „Im Verlust zeigt sich die Wertigkeit“. Das gilt privat wie beruflich. Ich glaube, wir werden eine Renaissance der Messe erleben.
Die Pandemie hält uns alle in Atem und vieles muss derzeit in den digitalen Raum ausweichen. Die damit verbundenen Erlöse sind jedoch vielerorts noch bescheiden. Worin sehen Sie für unsere Branche das nachhaltige Potenzial digitaler Angebote?
Dazu eines vorweg: Ich denke wir sind in einer Findungsphase ‚was sind digitale Events‘. Das ist – glaube ich – unternehmensspezifisch: Live-Streams, Match-Making oder Plattformen mit großen digitalen Messeständen? Darauf muss es zunächst Antworten geben. Es geht darum, in kurzer Zeit viele Kontakte zu bekommen, auf Besucher- und auf Ausstellerseite.
Gerade was das Thema „Content“ angeht, reklamieren ja viele Verlagshäuser ein Quasi-Monopol. Spätestens die hybriden Modelle von Messen haben zuletzt gezeigt, dass gerade Messen herausragenden Content produzieren. Ist das für die Messewirtschaft kapitalisierbar?
Wir haben in Österreich bereits Ende 2019 Content-Manager in den Messeteams verankert. Denn wenn wir 365 Tage im Jahr attraktiv sein möchten, so müssen wir unsere Kunden permanent mit Content versorgen. Wie eine Full-Service Agentur verwirklichen wir künftig bei Bedarf Messeauftritt, Videos, Medienbeiträge oder Social-Media-Posts für unsere Kunden. Ich denke, dass wir deshalb künftig mehr Content Manager haben werden.
Die Frage ist dabei auch: Wie machen wir den Menschen jetzt Lust darauf, zur Messe zurück zu kommen? Es gibt dazu so viele tolle Geschichten zu erzählen, das möchten wir jetzt tun, um die Neugier der Menschen zu wecken darauf, zu sehen und zu erfahren, was passiert ist.
Wir erleben gerade einen beispiellosen Hype um das neue Social-Media-Tool „Clubhouse“. Mit seinem gratis Live-Audio-Content ist es ein ernstzunehmender Wettbewerber um die Aufmerksamkeit der Menschen. Sind Sie schon dabei und wie ist Ihre Einschätzung?
Ich finde Clubhouse ist großartig und glaube, es wird einiges im Bereich Social Media nachhaltig verändern. Mich fasziniert die niederschwellige Möglichkeit, um Menschen kennenzulernen, zu denen man ansonsten kaum Zugang hat. Zudem ist das Format nicht like-getrieben, damit geht der Fokus auf Aussagen und auf Inhalte.
Aktuell soll Clubhouse rund 3 Mio. Nutzer haben, von denen täglich rund 800.000 jeweils 90 Minuten dort verbringen. Da gibt es interessante Parallelen zu Messen. Können wir damit Geld verdienen oder ist das einfach ein weiterer Kanal, den wir bespielen müssen?
Ich glaube, man muss als Unternehmen selektiv sein. Die Kanäle werden weiter zunehmen. Wenige Unternehmen waren z.B. auf Snapchat, Facebook ist für die jungen Menschen nicht mehr elementar, dann kam TikTok.
Der ‚Clubhouse – Hype‘ wird meiner Einschätzung nach abflachen, etwa, wenn die 20 Mio. Teilnehmer-Grenze erreicht ist. Wenn es uns gelingt, das neue Tool in unser Geschäftsmodell zu integrieren, dann können wir daraus Nutzen ziehen. Etwa bei Messe-Eröffnungen: wir könnten hier Menschen aus der ganzen Welt einladen. Das wäre eine ideale Ergänzung zu physischen Events und passt zu hybriden Angeboten.
Der FAMA steht für inspirierenden Austausch unter Messe-Machern. Unter seinem Dach fin-den sich Große und Kleine, Private und Öffentliche, B2C- und B2B-Spezialisten. Welche Bedeutung messen Sie der Rolle des FAMA bei?
Meine Erwartungshaltung ist, dass wir Menschen wieder gemeinsam auf das Thema Messe einschwören. Das möchte ich gerne auch in einer intensiveren Zusammenarbeit mit dem FAMA verwirklichen.
Fest steht: Ab dem Zeitpunkt, wo unser Geschäft wieder losgeht, brauchen wir große Kampagnen. Wir werden seitens Reed Exhibitions Mittel und Herzblut investieren, um auf diesem Wege zu zeigen: ‚Wir sind wieder da und wir sind besser denn je, weil wir unsere Angebotspalette erweitert haben‘.
Wir brauchen den FAMA auch, um gezielt koordinierte Positionen für die Ansprache der Politik zu entwickeln: Etwa, wenn es um Wiedereröffnungen geht. Und es gilt, zu sagen, dass Messe sicher möglich ist und welchen Beitrag zur Wertschöpfung sie leistet.
Wir müssen in A und D gemeinsam innerhalb der Branche auf die Politik zugehen, um wichtige Themen zu klären. Wie zum Beispiel die Belastung von Besucher-Testungen bei künftigen Messen. Welche Unterstützungen gibt es hier? Wir brauchen klare, in der Branche abgestimmte Forderungen, Trommelwirbel und eine gemeinsame „Symphonie“ nach außen.
Der Sohn oder die Tochter eines guten Freundes plant eine Karriere in der Messewirtschaft. Was raten Sie ihm bzw. ihr?
Bei Messen geht es um Menschen und um Kontakte. Ich liebe beides – und ich bin ein bedingungsloser leidenschaftlicher Anhänger unserer Branche. Sie ist Teil dessen, wie Menschen interagieren.
Wenn mich also ein Freund um Rat fragen würde, so würde ich in jedem Falle sagen: Bewirb dich bei uns, oder schick mir deine Tochter oder deinen Sohn als Bewerber ins Unternehmen. Es wird Messen auch in 100 Jahren noch geben!
Herr Binder-Krieglstein, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und freuen uns darauf, Sie an der FAMA Fachtagung im Sommer in Hamburg persönlich kennenzulernen.