Der Messeaufschwung nach Corona zeigt sich mehr als zufriedenstellend. In seiner Corona-Schlussrechnung bilanziert der AUMA zwar 670 gestrichene Messen, bis zu 87% weniger ausstellende Unternehmen und Besucher, ein gesamtwirtschaftliches Minus von 60 Mrd. EUR und Steuerausfälle von 10 Mrd. EUR. Doch das Messefrühjahr 2023 verläuft sehr ermutigend. So ermutigend, dass man sogar den Eindruck gewinnen könnte, die Branche sei versucht, es sich gleich wieder in ihren Komfortzonen gemütlich zu machen. Also alles wieder (so gut) wie früher (Bild: Dave Tavres/Pixabay)?
Kolumne von Oliver Schmitt
Das kommt wahrscheinlich darauf an, wen man fragt. In Sachen Digitalisierung etwa wird gerade vieles wieder entsorgt, von dem man hoffte, dass es von großem Nutzen sein wird. Digitale Messehallen und -stände etwa, durch die man mit Avataren schlendern konnte. Oder das viel gehypte Metaverse: Erste Konzerne wie Disney schicken 50 Mitarbeitende nach Hause, die in den virtuellen Welten für den Unterhaltungsriesen forschten. Selbst eine Nummer kleiner, bei den hybriden Formaten, scheint gerade ein großes Reinemachen stattzufinden. Nur noch in sehr speziellen Anwendungsfällen erzeugt die gleichzeitige Bespielung von physischen und digitalen Kanälen noch genügend Interesse (und Zahlungsbereitschaft).
Betrachtet man sich allerdings die Customer Journeys im Umfeld von Messen, dann überkommt einen allzu oft das kalte Grauen. Websites, denen man die wirklich relevanten Informationen aus der Nase ziehen muss. Content, der sich gekonnt hinter komplexen Menüstrukturen oder gleich hinter plumpen Paywalls versteckt. Eine Besuchsplanung, die ich auf eigene Faust und mir zumeist vollkommen manuell zusammenbasteln muss. Oder die Orientierung um das und auf dem Messegelände: Wer nicht über eine ausgeprägte intrinsische Motivation, gepaart mit technischem Verständnis auf höchstem Niveau, verfügt, der bleibt auf der Strecke. Warum, um Himmels Willen, nehmen wir die Kundenreise, die User Experience unserer Kunden so fahrlässig auf die leichte Schulter?
Es hat fast den Anschein, als hätten wir aus den Lehren der Pandemie nicht viel gelernt. Zumal jetzt alles wieder so zu laufen scheint wie früher. Doch unsere Kunden, Ausstellende wie Besuchende, sind nicht nur selbstbewusster geworden, sie haben auch ihren Erfahrungshorizont drastisch vergrößert. Sie wissen nahtlose Bestellprozesse zu schätzen. Sie genießen es, relevanten Content maßgeschneidert präsentiert zu bekommen. Sie haben weniger Zeit und setzen diese bewusster und zielgerichteter ein. Alles Dinge, die von höchster Relevanz für Messen als vergängliche, unübersichtliche und nicht allzu bequeme Marktplätze sind. Oder wären.
Und wir? Fangen schon wieder an zu glauben, dass Messen sich ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten schaffen. Mir wäre wohler, wenn wir Dinge wie Digitalisierung oder Customer Centricity nicht als vergängliche Randerscheinungen, sondern ernst nehmen würden. Und sie anpacken und in spürbare Verbesserungen für unsere Kunden umsetzen. Wer kann dazu schon nein sagen?